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Das 1988 gegründete Zentrum La Lucciola im Herzen der Provinz Modena ist eine wichtige Anlaufstelle für junge Menschen mit Behinderungen. Die Gründerin, Dr. Emma Lamacchia, schuf das Zentrum zusammen mit ihren Kollegen Dr. Sarti und Dr. Bencivenni, um eine therapeutische Alternative zu den traditionellen Einrichtungen zu bieten. Dabei wurde Wert auf eine familiäre und offene Umgebung gelegt, wie z.B. Landhäuser und einladende Räumlichkeiten. Von Anfang an war es das Ziel, einen Raum zu schaffen, in dem die Jugendlichen dabei unterstützt werden, die Herausforderungen des Alltags zu meistern und ihre Selbstständigkeit und soziale Interaktion zu fördern. Der Wendepunkt kam 1995, als das Zentrum Mario Calamai, einem ehemaligen italienischen Basketballspieler, begegnete. Calamai besaß ein kleines Haus in Monzuno, in der Nähe des Sommerlagers des Zentrums, und eines Tages, neugierig auf die Aktivitäten, beschloss er, La Lucciola zu besuchen. Aus diesem Besuch entstand eine Idee, die das Zentrum revolutionieren sollte: Die Einführung des Basketballs als Rehabilitationsmittel.
Eine unerwartete Chance
„Anfangs waren wir skeptisch“, erzählt Giovanni Ziosi, Vorstandsmitglied von La Lucciola. „Unsere Jugendlichen hatten schwere körperliche und kognitive Behinderungen: Tetraparese, Schwierigkeiten im Zusammenhang mit Autismus-Spektrum-Störungen und viele andere Herausforderungen.“ Trotz dieser Hindernisse begann Calamai mit kleinen Trainingseinheiten auf einem provisorischen Spielfeld und benutzte zunächst einen Karton als Korb.
Erste Herausforderungen und Erfolge
Die erste Trainingshalle war alles andere als ideal: ein alter Stall mit bröckelnden Wänden und einer dunklen, kalten Atmosphäre. Doch genau hier zeigte sich die Stärke der Calamai-Methode: Basketball zeigte sein Potenzial, motorische, kognitive und zwischenmenschliche Fähigkeiten zu fördern. Die Jugendlichen, die sich anfangs voneinander isolierten und kaum auf ihre Mitspieler achteten, entdeckten, dass das Ballspiel Aufmerksamkeit, Konzentration und Interaktion erfordert. „Für einen stark autistischen Menschen, der sonst niemanden anschaut, ist die Aufforderung, den Ball weiterzugeben, ein wahres Feuerwerk der Synapsen“, erklärt Ziosi. Aus diesen kleinen Erfolgen entwickelte sich eine Methode, die vielen Jugendlichen half, ihre Kommunikationsfähigkeiten zu verbessern und an richtigen Spielen teilzunehmen.
Mit der Zeit wurde die Methode strukturierter: Am Anfang standen einfache Ballspiele, dann Paarpassübungen und schließlich Korbwürfe, die schrittweise an die Bedürfnisse jedes Einzelnen angepasst wurden. „Jeder Pass, jeder Korb war ein Sieg“, erinnert sich Ziosi. Die Methode vermittelte nicht nur den Sport, sondern förderte auch die Potenziale jedes Einzelnen zutage, wobei der Schwerpunkt auf den Fähigkeiten und nicht auf den Einschränkungen lag. So wurde Basketball in La Lucciola zu einem wirkungsvollen Mittel der Eingliederung und Rehabilitation.
Von La Lucciola zu “Baskin"
Der Erfolg der Methode zog die Aufmerksamkeit vieler anderer lokaler Einrichtungen auf sich. Calamai arbeitete mit verschiedenen Zentren und Organisationen zusammen und trug zur Entstehung von „Baskin“ (inklusiver Basketball) bei, einer Aktivität, bei der heute Jugendliche mit und ohne Behinderungen in gemischten Teams spielen. „Calamai war der Erste, der die Barrieren zwischen den verschiedenen Behinderungen durchbrach und Menschen mit Down-Syndrom, Autismus, körperlichen Behinderungen und Nichtbehinderte auf einem Spielfeld zusammenbrachte“, betont Ziosi. Die Revolution bestand darin, ein Umfeld zu schaffen, in dem jeder unabhängig von seinen körperlichen oder kognitiven Fähigkeiten einen Beitrag leisten und zusammenarbeiten konnte.
Inklusion durch Sport: Die Kooperation mit den Schulen
La Lucciola hat von Anfang an mit Schulen in der Region zusammengearbeitet, um Jugendlichen ohne Behinderungen die Möglichkeit zu geben, gemeinsam mit den behinderten Jugendlichen des Zentrums zu spielen. Ziel war es nicht nur, körperliche Aktivität zu fördern, sondern auch die Werte der Inklusion und Zusammenarbeit zu verbreiten. „Wir wollten zeigen, dass Behinderung ein Teil des Lebens ist und dass trotz aller Schwierigkeiten sinnvolle Beziehungen aufgebaut werden können“, erklärt Ziosi. Auf diese Weise haben Generationen von Schülern gelernt, das Anderssein als Ressource und nicht als Hindernis zu sehen. Wie ein Jugendlicher des Zentrums sagte: "Ich komme hierher, um etwas über das Leben zu lernen und meine Synapsen zu aktivieren. Aber das Leben hat eben auch bittere Seiten”.
Das Training heute: Es geht um Teamarbeit
Heute organisiert das Zentrum jeden Donnerstag ein regelmäßiges Training, das von drei Fachleuten aus den Bereichen Psychologie, Kinder- und Jugendpsychiatrie und pädagogische Techniken geleitet wird. Rund vierzig Jugendliche mit körperlichen und kognitiven Behinderungen nehmen daran teil, betreut von einem engagierten Team, das die Calamai-Methode verinnerlicht hat. "Es geht nicht nur darum, Basketball zu lehren", betont Ziosi, "sondern auch darum, soziale Kompetenzen zu entwickeln, mit Gefühlen umzugehen und zu lernen, wie man zusammenarbeitet”. Die Stärke der Methode liegt in ihrer Fähigkeit, sich an die Bedürfnisse jedes Einzelnen anzupassen und ein Umfeld zu schaffen, in dem sich alle - ob mit oder ohne Behinderung - als Teil eines Teams fühlen.
Calamais Vermächtnis: eine bleibende Lektion
Obwohl Calamai heute nicht mehr täglich an den Aktivitäten teilnimmt, ist sein Beitrag nach wie vor von großer Bedeutung. Jedes Jahr kehrt er zurück, um Ratschläge zu geben, und hält so die Verbindung zu La Lucciola aufrecht. „Für uns ist er mehr als nur ein Trainer: Er ist ein Freund, ein Lehrer und ein Teil unserer Geschichte“, sagt Ziosi. Seine Methode hat das Leben vieler Jugendlicher verändert und eine neue Kultur der Inklusion durch Sport geschaffen. „Dank Calamai haben wir gelernt, nicht vor Schwierigkeiten zurückzuschrecken, sondern sie in Chancen zu verwandeln.“ Ein Vermächtnis, das die Arbeit von La Lucciola weiterhin inspiriert und Zentren und Vereine in ganz Italien beeinflusst.
Photo credits: La Lucciola