Den Sieg riskieren, um einen Gegner zu retten
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31 März 2023George Russell eilt Zhou Guanyu beim britischen GP 2022 in der Formel 1 instinktiv zur Hilfe und erinnert uns an die großen (und kleinen) Gesten des Fair Play, die auch in der schnellen Welt des Motorsports oft wichtiger sind als der Sieg.
Es ist der Große Preis von Großbritannien 2022 in der Formel 1 auf der historischen Rennstrecke von Silverstone. Die Ampeln gehen aus und das Rennen kann beginnen. Ein hektischer Start, der nach einer Kollision zwischen Pierre Gaslys Auto und dem von George Russell eine Reihe von Zusammenstößen auslöst, bei denen der chinesische Fahrer Zhou Guanyu am meisten zu leiden hat. Sein Alfa Romeo wird von Russells Mercedes getroffen, überschlägt sich und schleudert durch das Kiesbett und über die Reifenmauer. George erkennt sofort die Schwere des Unfalls. Er hält seinen Wagen an, von dem er glaubt, nicht mehr fahrtüchtig zu sein, und läuft zu Zhou, um nach ihm zu sehen und wenn möglich bei der Rettung zu helfen. Der britische Fahrer klettert über die Reifenmauer, ruft die Marshals zu Hilfe und unglaublicherweise wendet sich alles zum Guten.
Nach den notwendigen medizinischen Untersuchungen wird der Alfa-Pilot entlassen, und schon beim Neustart des Grand Prix kann man ihn auf seinen eigenen Beinen stehen sehen. Eine Geschichte mit glücklichem Ausgang, die nicht nur zeigt, welches Sicherheitsniveau der Motorsport mittlerweile erreicht hat, sondern auch, dass es selbst in einem Sport, der schnell und immer am Limit ist, noch Platz für große Fair-Play-Gesten gibt.
George Russell has spoken out about his actions after the crash on Sunday#BritishGP #F1https://t.co/XUcnnq9aGt
— Formula 1 (@F1) July 4, 2022
“Ich glaube, es war einfach eine natürliche Reaktion", sagt George später in einer Pressekonferenz beim GP Österreich. Zum Zeitpunkt des Unfalls glaubte der ehemalige Williams-Pilot, dass es unmöglich sei, das Rennen fortzusetzen, auch wenn das Auto vielleicht nicht völlig beschädigt gewesen wäre. Instinktiv schloss er sich also den Marshals an, um Zhou zu retten, und man erinnert sich sofort an ähnliche Szenen in der Vergangenheit der Formel 1. Ein Sport, in dem die Sicherheitsstandards höher sind als je zuvor, das Risiko jedoch eine Komponente bleibt, die man vielleicht nie ganz ausschließen kann. Ein Risiko, über das normalerweise nicht gesprochen wird, das aber für jeden Fahrer und jedes Teammitglied stets präsent ist. Vielleicht ist es gerade dieses Risiko, mit dem man sich irgendwie arrangiert, aber das man nie vergisst, das zu diesem gegenseitigen Respekt führt, den die Fahrer füreinander aufbringen. Eine Art ritterlicher Kodex, der dazu führt, dass man sich auf der Strecke einen harten Wettkampf liefert, dabei aber immer ein gewisses Limit nicht aus den Augen verliert.
Von Senna und Comas bis Niki Lauda: Wenn es darauf ankommt, ein Leben zu retten
Auch Ayrton Senna zögerte nicht, als er beim Qualifying zum GP Belgien 1992 anhielt, um seinem Freund Érik Comas nach einem schweren Unfall zu helfen. Senna stellt fest, dass Comas noch immer auf das Gaspedal drückt und die Gefahr einer Explosion besteht. Der brasilianische Fahrer hält an und schaltet den Motor von Comas' Auto ab. Letzterer ist überzeugt, dass Senna ihm das Leben gerettet hat. Zwei Jahre später in Imola kann Érik sich jedoch nicht für die Hilfe revanchieren, als Ayrton nach seinem tragischen Unfall durch nichts mehr zu retten ist. Tief betroffen von dem, was mit Senna geschehen war, wird Comas schließlich zum Ende der Saison zurücktreten.
Unmöglich, die inzwischen legendäre Rückkehr von Niki Lauda auf die Rennstrecke nach seinem schrecklichen Unfall auf dem Nürburgring im Jahr 1976 nicht zu erwähnen. Dass Lauda in Deutschland gerettet werden konnte, war aber auch der Hilfe von vier Fahrern zu verdanken: Arturo Merzario, Guy Edwards, Harald Ertl und Brett Lunger. Wie groß der Anteil der einzelnen Fahrer an der Rettung war, ist unklar, aber auch ihnen ist es zu verdanken, dass Lauda an diesem Tag aus dem brennenden Auto gezogen und gerettet wurde.
Positionswechsel und Helmtausch: Strategie und Solidarität in der Formel 1
Oft umstritten, manchmal entscheidend: Der berüchtigte "car swap", den die Teams fordern, um ihren Spitzenfahrer zu begünstigen, ist eine gängige Strategie in der Formel 1. Es gibt viele Geschichten von Fahrern, die sich dagegen wehren, ihre Position an ihren Teamkollegen abzugeben, aber manchmal gibt es auch unerwartete Gesten des Fair Play. Dies war beim GP von Ungarn 2017 der Fall, als Hamilton, der um den Titel kämpft, von seinem Teamkollegen Valtteri Bottas die Position überlassen bekam, um zu versuchen, die Position des zweitplatzierten Kimi Räikkönen von Ferrari anzugreifen.
Als sich das Tempo von Lewis als unzureichend erweist, um den Finnen zu überholen, könnte man denken, Hamilton wolle seine Position trotzdem halten, was in der Formel 1 ja auch keine Überraschung wäre. Stattdessen bremst der Brite in der letzten Kurve ab, um seinem Teamkollegen das Podium zu überlassen.
Anders und umstrittener ist der Fall des GP von Österreich 2001, als Rubens Barrichello beim sechsten Rennen des Jahres aufgefordert wurde, Michael Schumacher den zweiten Platz zu überlassen. Eine “Teamorder”, die sich in der folgenden Saison wiederholte. Die Zuschauer auf den Tribünen waren sichtlich enttäuscht und Schumacher trat unerwartet die oberste Stufe an Barrichello ab. Später im Jahr revanchierte sich der Weltmeister bei seinem Teamkollegen auf eine noch entschiedenere Art und Weise: Er versuchte, gemeinsam die Ziellinie zu überqueren. Am Ende gelang es den beiden nicht, und der Sieg ging mit 11 Tausendstel Vorsprung an Barrichello. Und vielleicht war das auch ganz gut so.
Kurios hingegen ist das, was zwischen Schumacher und David Coulthard bei einem verregneten Monaco-GP im Jahr 1996 passierte. Nach der Aufwärmrunde stellt Coulthard fest, dass er mit seinem Helm, der kein Doppelvisier hat, wegen der widrigen Wetterbedingungen nichts sehen kann. Also fragt er Schumacher, ob er sich einen seiner Helme ausleihen könne. Eine Bitte, die schon damals seltsam anmutete, die es David aber ermöglichte, den Grand Prix zu fahren und Zweiter zu werden.