Caren Agreiter und das Fair Play: „So wächst man auch im Alltag“
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1 Juli 2022Franco Baresi war Weltmeister, jahrelang Kapitän der Nationalmannschaft und zwei Jahrzehnte lang das Symbol des AC Mailands, die Mannschaft, mit der er alles gewann.
Aber noch mehr war er ein großartiges Beispiel, auf und abseits des Feldes. Er hat jüngst eine Autobiografie veröffetnlicht, „Libero di sognare“: „Ich wünsche mir, dass meine Worte für viele Jungen und Mädchen begeistern können und dass sie ihre Träume verwirklichen können, genau wie ich“, erzählt er im Interview mit WeFairPlay..
In Ihrer Karriere haben Sie praktisch alles gewonnen: Wie wichtig war für Sie Fair Play?
„Wenn ich so viel gewonnen habe, dann auch dank der positiven Lehren, die ich während meiner sportlichen Laufbahn erhalten habe und die ich selbst vermitteln wollte. Ich denke, die größte Anerkennung für das, was ich vermitteln konnte, war der Rückzug des Trikots Nummer 6 hier in Mailand, eine Geste, die über die Erfolge und Trophäen hinausgeht, die ich erreichen konnte und die mein Vermächtnis auf menschlicher Ebene darstellt“.
Aufopferung, Loyalität, Toleranz: Die Kapitel des Buches „Libero di sognare“ beziehen sich auf die Grundwerte des Sports. Finden Sie, dass diese Werte im heutigen Fußball noch aktuell sind?
„Ich glaube, dass der Sport seit jeher wichtig ist, um jungen Menschen diese Werte zu vermitteln. Fußball ist der beliebteste Sport, jene Sportart, die am meisten verfolgt wird. Das Problem besteht oft darin, dass wir die Verantwortung vergessen, die wir denen gegenüber haben, die uns folgen. Ich wünsche den Jugendlichen, die den Fußball von heute erleben, dass sie immer sie selbst sind und keine Abkürzungen suchen. In einer Welt wie der heutigen, die ständig versucht, uns zu verändern, ist es bereits ein Erfolg, sich selbst zu sein, um seine Träume zu verwirklichen“.
In dem Buch schreiben Sie: „Seit meiner Kindheit habe ich gelernt, wie wichtig es ist, niemanden zurückzulassen und die Qualitäten eines jeden zu schätzen“. Glauben Sie, dass dies auch in einer immer leistungsorientierteren Sportwelt möglich ist, auch auf Jugendebene?
“Meine Kindheit war von Don Piero geprägt, dem Pfarrer des Oratoriums. Er hat den richtigen Schlüssel gefunden, um jeden von uns wertzuschätzen und unser Talent hervorzubringen, jeder für seine Leidenschaft. Der richtige Schlüssel für Don Piero war die Freiheit. Heutzutage werden Kinder und Jugendliche sehr oft unter Druck gesetzt, was sich negativ auf ihr Wachstum auswirkt. Schließlich muss jedes Kind die Freiheit haben, sich auszudrücken, und wir müssen gut darin sein, seine Leidenschaften und seine Begeisterung zu fördern, denn mit 8, 10, 12 Jahren versteht man, was man wirklich mag. Ich hatte das Glück, Menschen zu treffen, die meine Qualitäten seit meiner Kindheit verbessert haben, und ich hoffe, dass so viele Kinder und Jugendliche das gleiche Glück haben werden“.
Beim Sportverein von Travagliato, ihrer ersten Mannschaft, mussten sich die jungen Fußballer auf aber auch neben dem Spielfeld korrekt verhalten: Die Jungen mussten sich auch beim Zuschauen anständig verhalten, auf dem Spielfeld durften sie nicht mit Schiedsrichtern und Trainern protestieren, der Siegeswille durfte die Fairness nicht beeinträchtigen. Wie stark haben diese Regeln, die der junge Franco Baresi befolgte, dann auch das Verhalten des Franco Baresi als Fußballstar beeinflusst?
„Mein erster Trainer hat sich sehr für unsere Erziehung und unser Verhalten interessiert. Er versuchte immer, uns zu vermitteln, dass Respekt von grundlegender Bedeutung ist und dass wir ihn immer in jedem Moment unseres Tages im Auge behalten sollten. Diese Lehre war eine wichtige Etappe, die meinen gesamten Weg beeinflusst hat. Tatsächlich habe ich immer versucht, den menschlichen Aspekt in jeder Umgebung, nicht nur im Sport, zu verbessern. Zu verstehen, dass man an der Seite in erster Linie eine Person und erst dann einen Athleten hat, ist die Grundlage des Respekts“.
In ihrem Buch erzählen sie auch von zwei Gesten, die eigentlich nichts mit Fair Play zu tun haben – im Gegenteil. Den Elfmeter, den sie gegen Atalanta in einem Spiel des italienischen Pokals verwandelt haben, der aus einer Situation entstanden ist, in welcher der Ball nicht an die Gegner zurückgegeben wurde, nachdem diese ihn ins Aus befördert hatten, weil ein Mitspieler verletzt am Boden lag, sowie das Verhalten der Mannschaft des AC Mailand im Champions League-Halbfinale von 1991 gegen Olympique Marseille ("ein Mangel an Respekt – schreiben sie im Buch - gegenüber den Gegnern, dem Schiedsrichter und den Fans"). Warum haben Sie sich entschieden, diesen beiden negativen Ereignissen so viel Platz einzuräumen, wenn man bedenkt, dass Ihre lange Karriere aus der Sicht der Fairness auf dem Feld beispielhaft ist?
„Ich wollte darüber mehr schreiben, weil ich davon überzeugt bin, dass ich aus diesen beiden Erfahrungen viel gelernt habe. Am meisten lernen wir von der Erkenntnis unserer Fehler, ohne jemals zu vergessen, dass auch der Gegner arbeitet und seine eigenen Opfer bringt, und der Sieg ist wertlos, wenn der Respekt nachlässt“.
Heute sind Sie auch Botschafter der Stiftung AC Mailand, deren Ziel es ist, die Werte des Sports den Jugendlichen zu vermitteln, und ihnen zu helfen, das Leben positiv anzugehen: Wie versuchen Sie, diese Botschaft an die Jungen und Mädchen weiterzugeben?
„Seit ich Mannschaftsführer war, habe ich verstanden, wie es ist, ein Team zu führen und was meine Verantwortung gegenüber den Teamkollegen war. Ich habe gelernt, niemanden zurückzulassen und denen zu helfen, die es brauchen. Ich wollte diese Haltung auch abseits des Platzes mit der „Fondazione Milan“ fortsetzen und mich vor allem auf die Seite der Schwächsten stellen. Meine sportliche Karriere war sicherlich bedeutsam, und wenn ich beim letzten Spiel aufgehört hätte, hätte ich meiner Karriere wahrscheinlich nicht den richtigen Wert beigemessen. Für mich ist es eine Ehre, die positiven Werte des Sports weiterzugeben, indem ich das Trikot der Fondazione Milan unter junge Menschen trage. Als ich das Buch „Libero di sognare“ schrieb, dachte ich, wenn ich auch nur eine Person inspirieren würde, dann wäre ich glücklich. Ich wünsche mir, dass meine Worte für viele Jungen und Mädchen begeistern können und dass sie ihre Träume verwirklichen können, genau wie ich“.
Gibt es eine Fairplay-Geste – im Fußball, aber auch in anderen Sportarten –, die Sie im letzten Jahr besonders beeindruckt hat?
„Wenn ich an eine Fairplay-Episode in diesem Jahr denke, fällt mir instinktiv die Reaktion der Teamkollegen gegen Spielende der Begegnung zwischen Cagliari und Milan ein, das von rassistischen Chören gegen Mike Maignan und Fikayo Tomori geprägt wurde. Es war beeindruckend, wie sich alle hinter ihre Mannschaftskameraden gestellt haben. Beim Fair Play geht es nicht nur um die Einhaltung der Regeln auf dem Feld, sondern auch um den Gegner und die Teamkollegen. Milan führt seit langem eine wichtige Kampagne gegen Rassismus mit dem Namen „RespAct“ durch, die das Engagement des Clubs bekräftigt, den Wandel gegen jede Form von Diskriminierung voranzutreiben“.